Das Interview mit Guise-Rübe wird von "Welt"-Lesern verrissen
Katja Mitic hat leider eine Gelegenheit verpasst.
Die Kommentarspalte unter dem Interview mit Ralph-Guise Rübe in Die Welt ist spannender als jeder Krimi. Fast alle kritisch, viele geradezu empört. Unten steht eine Kostprobe.
Nicht wenige Kommentare fragen, warum die Journalistin, Katja Mitic, keine kritische Fragen gestellt hat bzw. anscheinend keine unabhängige Recherchen geführt hat:
—> “Auch von einem WELT-Interviewer würde ich erwarten, dass man hier und da mal kritisch nachfragt und den Richter nicht einfach mit jeder abstrusen Behauptung davonkommen lässt.”
—> “Und von welt würde ich mir eine etwas kritischere Berichterstattung, einschließlich Hintergrundsrecherche, wünschen.”
—> “In jedem Fall kann Hammel als ausgewiesener Söring-Experte gelten.” (sorry, könnte es mir nicht verkneifen)
Was mir vor allem erstaunt hat, ist dass Mitic gar keine Fragen nach den Qualifikationen von Herrn Guise-Rübe gestellt hat. Hat er je amerikanisches Strafrecht studiert? Hat er die wichtigste Kommentare und Lehrbücher zum amerikanischen Strafrecht und Strafverfahrensrecht gelesen? Hat er mit Richtern und Anwälten in den USA gesprochen? War er je bei einem amerikanischen Strafverfahren anwesend? Hat er die komplexen Revisions- bzw. Wiederaufnahmeanträge gelesen und verstanden?
Und vor allem: Woher stammt seine vehemente Ablehnung der US-amerikanischen Strafjustiz?
Mitic stellte keine dieser Fragen, zumindest nicht im Interview. Sie scheint einfach davon ausgegangen zu sein, dass jeder deutsche Richter einen US-amerikanischen Strafprozess ohne weiteres verlässlich beurteilen kann.
Ich war im Kontakt mit Frau Mitic im Vorfeld dieses Interviews. Es war mir bewusst, dass Die Welt es vorhatte, weiter über den Fall zu berichten, und ich wollte für Ausgewogenheit sorgen Ich habe sie auf den Wright-Bericht, das Buch “Nebelkerzen”, und andere kritischen Auseinandersetzungen mit Sörings Behauptungen aufmerksam gemacht. Ich wollte verhindern, das noch einen Artikel ganz im Sinne von Team Söring veröffentlicht wurde.
Die “Vorbeugende Anti-Hammel Behandlung” (VAHB) muss überwunden werden
Mal abgesehen von diesem Fall: Bevor sie mich kontaktieren (oder umgekehrt) haben die meisten Journalisten schon stundenlang mit Söring gesprochen, und sind seinem Charme mehr oder weniger verfallen. Auch wurden sie in der Regel penetrant vor mir gewarnt: “Der texanische Blogger ist verrückt, er is besessen, er ist ein Troll, er hasst mich aus unerfindlichen Gründen. Er ist hoffnungslos befangen und ist vor allem keine seriöse Quelle.”
Die Journalisten sind daher von Söring und seiner PR-Maschinerie gegen mich “geimpft”, wie ich manchmal am Ton ihrer Anfragen erkennen kann. Trotzdem nehmen viele Kontakt mit mir doch auf, vielleicht nur der journalistischen Redlichkeit halber. Eigentlich glaube ich, dass viele es tun nur, weil sie wissen, dass ich ihre Arbeit später unter die Lupe nehmen werde.
Natürlich weiß ich nicht, ob Frau Mitic schon die “Anti-Hammel-Behandlung” bekommen hat. Es ist aber anzumerken, dass ihr Interview mit Söring von 2021 recht freundlich war:
Vor allem die Rolle Elizabeth Haysoms an der Tat ist bis heute unklar. In Summe bleiben aber immer Zweifel, weil es keine eindeutigen Beweise für seine Unschuld gibt…. Und darum erkläre er auch so bereitwillig alles immer und immer wieder, obwohl er selbst gerne damit abschließen würde [!]…. Was genau [am Tatort geschah], das möchte Söring nicht wiederholen. Schließlich wäre auch das rein spekulativ und könnte sogar juristische Folgen für ihn haben.
Ich nehme mal an, dass die “wäre” im letzten Satz indirekte Rede war — dass also es die Meinung von Frau Mitic nicht weitergibt. Titel des Interviews ist übrigens “Man kämpft nicht 30 Jahre für eine Lüge”. Doch. Ich kenne zahlreiche Menschen, die ein ganzes Leben lang für eine Lüge gekämpft haben.
Freundliche Hinweise
Aber zurück zum Thema: Wie bei vielen anderen Journalisten habe ich Frau Mitic alle meine Artikel, den Terry-Wright-Bericht, und vielen anderen Dokumenten zukommen lassen. Ich habe darauf hingewiesen, dass der Fall sehr komplex ist (nicht wegen des Sachverhalts, nur wegen den Nebelkerzen), und dass eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Fall leider nötig ist, weil so viele Falschinformationen im Umlauf sind. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass Söring und seine Anhänger die Komplexität des Falles ausnutzen, indem sie scheinbar vertretbare Argumente aufstellen, die nur durch mühsame Aktenrecherchen widerlegt werden können.
Ich weiß nicht, ob Frau Mitic es vorhat, sich tiefer mit dem Fall zu beschäftigen. Das hoffe ich sehr, und ich bin jederzeit bereit, ihr dabei zu helfen. Was ich definitiv sagen kann — was viele Leser schon bemerkt haben — ist, dass die Fragen, die sie gestellt hat, leider nicht von tiefen Kenntnissen zeugen und hätten meiner Meinung nach deutlich kritischer ausfallen können. Leider eine verpasste Gelegenheit.
Dieses grob irreführendes Interview hat schon viele Schaden angerichtet. Ich habe Die Welt eine kurze Gegendarstellung zu diesem Interview angeboten. Noch habe ich nichts gehört.
“Welt”- Leserkommentare: “Fassungslos…riesengroße Peinlichkeit…Hybris und Unfehlbarkeitsfantasie…Spekulationen”
“Ich bin fassungslos, dass sich ein deutscher Richter derartig äußert, ohne rechtliche Konsequenzen! … Ohne Herrn Guise-Rübe zu nah treten zu wollen, bin ich mir sicher, dass er entweder nicht das gesamte Material gelesen hat, wie er behauptet. Oder er nicht verstanden hat was er gelesen hat. Fakt ist: Das Urteil gegen Söring ist absolut korrekt und auf Basis überwältigender Beweise gefällt worden. Zudem ist es auch peinlich, dass ein Landgerichtspräsident sich so von einem Manipulator wie Söring vorführen und blenden lässt.”
“Deutsche Richter halten sich seit jeher für die besten und tollsten überhaupt, die schweben in ihrer eigenen Blase, über allen anderen, ganz weit weg von jeder Kritik. US-Richter sind oft das Gegenteil: Die müssen das Feedback des Bürgers zur Kenntnis nehmen, weil sie oft vom Bürger direkt gewählt werden, und so sprechen sie dann auch wirklich Recht im Namen des Volkes, denn von diesem Volk werden sie direkt eingesetzt. So schlecht ist dieses System nun wirklich nicht.”
“Der eigentliche Witz ist das, was Herr Rübe sagt. Es ist eigentlich eine riesengroße Peinlichkeit, dass jemand heute noch so auf den Doppelmörder und seine vorsortierten Akten reinfällt. Eine Frechheit ist es, wie er sich über das amerikanische Rechtssystem äußert. Dutzende Juristen haben in den letzten 37 Jahren nur Mist gebaut. Hätten sie doch gleich auf die Rübe gehört. Das ist ein ganz schlechter Witz.”
“Vor allem die Aussage: ‘Das US-amerikanische Rechtssystem ist kein rechtsstaatliches System’ finde ich absolut unangemessen. Der USA mit seinem seit langen Zeiten gewachsenen Rechtssystem einfach mal so pauschal die Rechtsstaatlichkeit abzusprechen, ist ein massiver und weitreichender Vorwurf, der einem aktiven Richter in meinen Augen nicht zusteht.”
“Bei aller berechtigten Kritik an der US Justiz gibt es hier noch mehr als genug Verbesserungspotential.”
“Mit der Bewertung des juristischen Systems in den USA sollte man sehr vorsichtig sein. Umgekehrte Analysen von Freisprüchen und Kuscheljustiz würden in den USA ebenso unverständlich erscheinen. Vielleicht sollte sich Herr Guise-Rübe auch einmal näher mit deutschen Fällen beschäftigen, in denen unschuldige Opfer von Wiederholungs-Verbrechern nach unzureichend oder nicht vergebenen Haftstrafen zu Schaden gekommen sind.”
“Und wieder ein Vortrag aus der beliebten Reihe ‘Am deutschen Wesen soll die Welt genesen’. Ich habe Prozesse in beiden Rechtssystemen bis zum US-Fed Court geführt und kann über diese ‘Analyse’ nur noch den Kopf schütteln. In den USA gilt nicht die Unschuldsvermutung Herr Richter? Das wäre mir jetzt neu! Welch absurde Behauptung.”
“Genau mit dieser Hybris und Unfehlbarkeitsfantasie stelle ich mir einen deutschen Richter vor.”
“Überhaupt, was will uns Herr Kollege Guise-Rübe damit sagen: Das Zöglinge aus ‘Nicht-Premium-Haushalten’ und ‘Aldi-Kassier-Söhne’ per se eine geringere Tötungshemmschwelle haben als Diplomatenkinder? Dass ab einem gewissen beruflichen Statuts des Vaters ein Mordgeständnis des Sohnes per se zu verwerfen ist?”
”Wenn ein Richter das in seine Überlegungen zu Schuld oder Unschuld mit einfließen lässt: ‘...der in einem Premium-Haushalt als Diplomatensohn aufgewachsen ist...’ ist er nicht ernst zu nehmen.”
“Ich empfehle mal Andrew Hammel im Zusammenhang mit Söring zu googeln. Der Rechtsanwalt hat u.a. in einem sehr lesenswerten FAZ Essay den Fall Söring seziert. In jedem Fall kann Hammel als ausgewiesener Söring-Experte gelten.”
“In Deutschland hätte er nicht einmal ein aussagekräftiges Protokoll lesen können. Anders als in den USA stehen in einem deutschen Hauptverhandlungsprotokoll erster Instanz vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht nur die so genannten "wesentlichen Förmlichkeiten".
“Herrn Guise-Rübe würde ich statt Kaffeesatzlesen einen Grundkurs im Strafrecht, Strafprozessrecht und Jugendstrafrecht empfehlen. Nach der auf wiki nachzulesenden Vita beschäftigt sich seine Kammer mit dem ärztlichen Berufsrecht. Und von welt würde ich mir eine etwas kritischere Berichterstattung, einschließlich Hitergrundsrecherche, wünschen.”
“Mich stört, dass sich der Herr Kollege zu 90 Prozent in Spekulationen ergeht!
Insbesondere sollte ein Richter, der in einem Rechtssystem verankert ist, in dem bei Strafprozessen keine Aufzeichnungen erlaubt sind, sondern nur Notizen von Richtern und Rechtsanwälten gestattet sind , sich kein Urteil über ein anderes Rechtssystem erlauben.”
“Sorry, der Richter spielt hier als Experte die Rolle des advocatus diaboli. Die Einwäne, die er vorbringt, sind schon sehr an den Haarenherbeigezogen. Ein Diplomatensohn ausgutem Hause würde so eine Tat eher nicht begehen, er hatte eine zu gute Zukunft vor sich. Das ist schon Sozialdarwinismus! Und in denUSA hätte man eine Schußwaffe genommen, da leicht zu erlangen, kein Messer. Was für ein Blödsinn.”
“Liebe Frau Mitic, nachdem Sie meine Antwort auf Ihre Replik leider noch nicht veröffentlicht haben, hier noch der ergänzende Hinweis, dass Andrew Hammel zwischenzeitlich ausführlich Stellung bezogen hat. Nachzulesen unter https://thesoeringcase.substack.com/p/german-judge-alleges-that-american”
“Leider hat sich Herr Dr. Guise-Rübe mit seinen sehr arrogant daherkommenden Äußerungen zum Fall Jens Söring keinen Gefallen getan.”
“Erschreckende Aussagen aus der Sicht eines vermeintlich überlegenen deutschen Rechtssystems. Bin sowohl in Deutschland als auch den USA als Anwalt zugelassen und es zeugt für mich von absoluter deutscher Ignoranz den USA die Rechtsstaatlichkeit abzusprechen, ganz im Gegenteil kann Deutschland nach wie vor noch einiges von den USA lernen”
“Ich habe selten so eine offensichtliche Unwissenheit gepaart mit Arroganz in einem Zeitungsbericht wiedergefunden. Herr Dr. Guise-Rübe hat oberflächliche Kenntnisse in dem Söringfall und es ist an Überheblichkeit nicht zu überbieten, dass er denkt, nach seinem Aktenstudium eine solche Einschätzung abgeben zu können, nachdem Dutzende von Profis sich über Jahre eingehend und engagiert mit dem Fall auseinandergesetzt zu haben”
Die Leser der "Welt" beweisen an der Stelle mehr klares Urteilsvermögen als Dr. Guise-Rübe. Seine Äußerungen kann ich nur als fahrlässig und nicht im Mindesten haltbar bezeichnen. Der Journalistin Katja Mitic und der Chefredaktion der "Welt" kann man vorwerfen, dass sie jegliche Kritik oder Überprüfung daran vermissen lassen. Das finde ich nicht nur bedauerlich sondern erschreckend.
Tolle Arbeit, Andrew.